30. April 2016, Spiez

„Hunderte von Milliarden werden heute dem Kriegsgott in den Rachen geworfen und sind so für die Wohlfahrt des Volkes, für Kulturziele und für die Zwecke der sozialen Reformen verloren, die euer Los erleichtern, die Volksbildung fördern und das Elend mindern können!
Und morgen werden neue schwere Steuern auf eure gedrückten Schultern fallen. Ein Ende darum der Vergeudung eurer Arbeit, eures Geldes, eurer Lebenskraft! Auf zum Kampfe für den sofortigen Frieden ohne Annexionen!“

Lieber Peter Vollmer und Paul Rechsteiner
Liebe Genossinnen und Genossen
Liebe Spiezerinnen und Spiezer und liebe Gäste

Mich tschuderets wenn ich dieses Zitat lese! Es stammt aus dem Kientaler Manifest, das am 30. April 1916, also genau heute vor 100 Jahren verabschiedet wurde. Es trägt den Titel:
„An die Völker, die man zugrunde richtet und tötet“.

Und es tschuderet mich noch mehr, wenn ich mir vorstelle, was vor hundert Jahren in Europa passiert ist. Gerade während der Kientaler Konferenz tobte auf den grünen Hügeln östlich von Verdun eine der fürchterlichsten, blutigsten Schlachten des 1. Weltkriegs: Diese begann Ende Februar 1916 mit einem Angriff deutscher Truppen auf die französischen Stellungen östlich der Stadt Verdun und hat im Dezember 1916 ohne wesentliche Verschiebung des Frontverlaufs geendet. Die Schlacht um Verdun markiert einen grausigen Höhepunkt eines

völlig entmenschlichten Krieges: Ein französischer Hauptmann hat diese Hölle so beschrieben

„Die letzten zwei Tage in eisigem Schlamm, unter furchtbarem Artilleriefeuer, mit keiner anderen Deckung als der Enge des Grabens… Ergebnis: Ich bin hier mit 175 Mann angekommen und mit 34 zurückgekehrt, von denen einige halb verrückt geworden sind….“

Auf französischer und auf deutscher Seite waren ca. 700‘000 Soldaten an der Schlacht beteiligt, davon sind mehr als 320‘000 gefallen. Wer den Film „Im Westen nichts Neues“ aus dem Jahr 1930 gesehen hat, kann sich die unglaubliche Brutalität dieses Krieges vorstellen.

Bis vor kurzem meinte ich, dass sich Lenin und andere Kommunisten vor 100 Jahren ins Kiental zurückgezogen haben, um mit Verbündeten die kommunistische Revolution in Russland zu planen. Doch die historische Aufarbeitung rund um die Zimmerwalder und die Kientaler Konferenz zeigt, dass unter der Leitung des Schweizer Sozialdemokraten Robert Grimm sozialistische Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner aus neutralen Staaten und von beiden Seiten der kriegsführenden Nationen (!) über Massnahmen zur raschen Beendigung des Krieges diskutiert haben. Es war also nicht ein verschwörerisches kommunistisches Treffen, sondern eine Friedenkonferenz:
40 linke Politiker und Politikerinnen aus ganz Europa haben sich also mitten im 1. Weltkrieg im Kanton Bern getroffen, um gegen den Krieg aufzustehen, aufzuschreien und dies in einem Manifest niederzuschreiben..

So ist denn auch im Kientaler Manifest nachzulesen:

„Zwei Jahre Weltkrieg! Zwei Jahre der Verwüstung!
Wer trägt die Verantwortung?
Es sind die herrschenden Klassen!
Es hat sich von neuem gezeigt, dass einzig jene Sozialisten den Interessen ihrer Völker gedient haben, die trotz der Verfolgungen und Verleumdungen dem nationalistischen Wahn entgegengetreten sind und einen sofortigen Frieden ohne Annexionen gefordert haben.
Vereinigt euch deshalb mit uns in dem Feldgeschrei: Nieder mit dem Kriege! Es lebe der Frieden!

In allen kriegsführenden Ländern sollen sich die Frauen und Männer der Arbeit gegen den Krieg und seine Folgen, gegen das Elend und die Entbehrung, gegen die Arbeitslosigkeit und die Teuerung wenden.

Im Kiental wurde also vor 100 Jahren Klartext gesprochen und sie haben die Zusammenhänge zwischen Krieg und den grossen Opfern der arbeitenden Bevölkerung klar aufgezeigt. Denn wer verliert am meisten in einem Krieg? Die arbeitende Bevölkerung. Zuerst wird sie ins Militär eingezogen, um in den Schützengräben zuvorderst zu kämpfen und zu sterben – und diejenigen, die überleben, müssen unter schwierigsten Bedingungen ihre Existenz wieder aufbauen.
Das Kientaler Manifest ist ein eindrückliches Werk. Nicht nur der Inhalt, der kompakt geschrieben ist und die Arbeiterschaft und die Politik klar anspricht, sondern auch wie das Manifest entstanden ist: Die rund 40 Personen mussten zum Teil quer durch das im Krieg befindliche Europa reisen und haben dabei ihr eigenes Leben riskiert, um solidarisch für Frieden und mehr Gerechtigkeit einzustehen. Dieser Gruppe aus mutigen linken Frauen und Männer gebührt aus heutiger Sicht grosser Respekt, dass sie in dieser blutigsten Zeit Europas sich zusammengerauft haben, um der arbeitenden Bevölkerung Mut zu machen, sich gegen den Krieg zu wehren und für den Frieden einzustehen und dass sie die Politik zur Verantwortung aufgerufen haben. Eine starke Leistung!

Lenin war in Zimmerwald und im Kiental mit dabei bei den Diskussionen und seine tiefe Überzeugung war es, dass es eine Revolution braucht, um eine neue, gerechtere Staatsform, zu entwickeln. Er war überzeugt, dass man den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg umwandeln muss. Er hat denn dies in Russland auch in die Tat umgesetzt und ging als Revolutionär in die Geschichte ein.
Er schaffte es übrigens auch auf die Titelseite der Schweizer Illustrierten, welche sein Wirken als Weltpolitiker aufgezeigte.

Federführend für die beiden Konferenzen jedoch war (Wahl-)Berner Robert Grimm. Robert Grimm war von 1911 bis 1941 während 30 Jahren Präsident der SP des Kantons Bern. Und er war Stadtrat, Grossrat, Regierungsrat und während fast vierzig Jahren Nationalrat. Er konnte der Idee einer gewaltsamen Revolution nicht viel abgewinnen und war kein enger Freund von Lenin. Seine Überzeugung war es, dass man auf demokratischem, parlamentarischem Weg zu einem langfristigen und auch sozialen Frieden kommen kann.

Die Weltgeschichte hat nun Robert Grimm Recht gegeben:
Die sozialdemokratisch geprägte, stabile Schweiz ist ein Erfolgsmodell, während dem der Kommunismus in Russland zusammengebrochen ist!

Und heute: Die arbeitende Bevölkerung leidet keinen Hunger mehr wie zu Grimms Zeiten, es tobt kein blutiger Krieg in nächster Nähe. Doch weit weg sind die Kriege nicht und wir alle kennen die schlimmen Bilder aus dem Fernsehen, dem Internet und den Zeitungen. Die ausgebombten Städte im Irak, das Kinderspital in Aleppo… Wie steht es um die Solidarität heute? Sie wir noch bereit zu teilen, was unsere Vorfahren für uns erstritten haben? Die Angst geht um,.. ja, wovor eigentlich? – Weniger zu haben? Zu kurz zu kommen? …?

An der gestrigen Eröffnung der BEA in Bern habe ich im Gespräch mit einem Grossratskollegen, der im Rat auf der anderen Seite sitzt, kurz erwähnt, dass ich heute eine Rede zum Tag der Arbeit halten werde. Er hat mich ungläubig angeschaut und gefragt, ob es das denn immer noch gebe, 1. Mai Feiern. Ja, es gibt sie noch, die 1. Mai Feiern! Und der Blick zurück ins Jahr 1916 macht deutlich: Die Feier des Tages der Arbeit ist wichtiger denn je: Denn die Feier des Tages der Arbeit ist gleichzeitig die Feier des Kampfes für den Frieden und für die Gerechtigkeit. Und es ist wichtig, dass wir immer wieder daran denken, dass es schon vor 100 und mehr Jahren engagierte und mutige Sozialdemokratinnen und -demokraten gab, die ihr Leben riskierten, um unseren Staat zu gestalten, zu prägen. Lasst uns daraus die Energie und Zuversicht schöpfen, um unsere Stimme weiterhin laut und deutlich zu erheben: Für alle statt für wenige! Denn es ist wichtig, dass wir immer wieder aktiv für unsere sozialdemokratischen Werte einstehen und für deren Umsetzung kämpfen!

Und nun noch in eigener Sache: Friede, Gerechtigkeit und Solidarität sind mir wichtige Grundwerte. Wir haben viel erreicht, aber es gibt noch mehr zu tun. Um hier einen Beitrag zu leisten, habe ich mich entschieden, dass ich bei den Wahlen in Spiez im Herbst 2016 nicht nur für den Gemeinderat, sondern auch für das Gemeindepräsidium kandidieren möchte.

Es würde mich freuen, wenn ihr mich dabei unterstützten würdet.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit